Mittwoch, 30. Oktober 2013

Koalitionsverhandlungen: Vertragskontinuität

Die dritte Große Koalition ist auf dem Weg. Koalitions-Arbeitsgruppen wurden gebildet, Besetzung und Vorsitz geklärt. Trotz erwartbarer Kontinuität in der Außenpolitik, lohnt der Blick auf die Themen Türkei und Russland (Teil 2). 

Das Kanzleramt kennen sie nur zu gut. Thomas de Maizière und Frank-Walter Steinmeier waren beide mal Chef dieser Behörde. Auch die Nähe zur Außen- und Sicherheitspolitik haben sie gemein. Steinmeier war Außenminister in der letzten Großen Koalition, de Maizière ist geschäftsführender Verteidigungsminister, mindestens bis zur Regierungsbildung. Nun sitzen sie der Arbeitsgruppe 1 „Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit“ vor. Eine Gruppe aus 19 Politikern, davon drei nicht-MdB’s.

Die ganz großen Spannungen dürften in dieser Arbeitsgruppe ausbleiben. Grund dafür ist der thematische Zuschnitt der Koalitions-Arbeitsgruppen, der zusätzlich zur Arbeitsgruppe „Finanzen“ noch eine gesonderte Unterarbeitsgruppe mit dem Titel „Bankenregulierung, Europa, Euro“ vorsieht. Wenn überhaupt wird hier die Aussage Merkels, die SPD sei europapolitisch „total unzuverlässig“, und Steinbrücks Replik, sie zerstöre damit Brücken und das werde die SPD nicht vergessen, thematisiert werden.

Mit Blick auf die letzte Große Koalition erwartet Angela Merkel auch in ihrer 3. Amtsperiode als Kanzlerin Kontinuität in der deutschen Außenpolitik. Auch ist zu erwarten, dass die Diskussionen in der entsprechenden Arbeitsgruppe überwiegend von staatspolitischem Konsens geprägt sind. Und doch lohnt es sich bei zwei Themen genauer hinzuschauen: Türkei und Russland (Teil 2).

Schon im Wahljahr 2005 unterschieden sich Union und SPD in puncto Türkei-EU-Politik deutlich. In Ihrem Wahlprogramm lehnte die Union eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU ab, da „das die Integrationsfähigkeit der Europäischen Union überfordern würde.“ Sie nannte es eine „unrealistische Beitrittsperspektive“ und forderte stattdessen eine „privilegierte Partnerschaft“. Die SPD hingegen, sprach von einem „Wortbruch“, sollte der Türkei die Vollmitgliedschaft bei Erfüllung der Voraussetzungen versagt werden. Zwei konträre Positionen also.

Im Koalitionsvertrag einigte man sich dann auf die Formulierung, dass die aufgenommenen Verhandlungen ein „Prozess mit offenem Ende“ seien, „der keinen Automatismus begründet und dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.“ Ein ausgewogener schwarz-roter Passus. Zusätzlich wurde im Koalitionsvertrag aber auch auf die „strikte“ Erfüllung der Beitrittsbedingungen „einschließlich der Aufnahmefähigkeit der EU“ verwiesen, zu denen „auch die Ausübung der Grundfreiheiten unter Einschluss der Religionsfreiheit“ gehöre. Es darf angenommen werden, dass die SPD auf den explizit-kritischen Hinweis zur „Aufnahmefähigkeit der EU“ und der freien Ausübung von Religion hätte verzichten können.

2013. Eine Legislaturperiode nach dem Ende der letzten Großen Koalition, haben Union und SPD Ihren Standpunkt von 2005 beibehalten, mit kleineren Abänderungen auf beiden Seiten. Sprach die Union 2005 und 2009 noch von einer „privilegierten Partnerschaft“, verzichtet sie im diesjährigen Wahlprogramm auf den Terminus. Von „vertiefen der Beziehungen“, „engerer und besonderer Zusammenarbeit“ und „möglichst starker Kooperation“ ist die Rede. Außerdem, so konkretisiert sie ihr 2005er Wahlprogramm, sei die EU für einen Türkei-Beitritt aufgrund „der Größe des Landes und seiner Wirtschaftsstruktur“ nicht aufnahmefähig. Die SPD hingegen ergänzt ihr diesjähriges Wahlprogramm um die Forderungen nach einer „neuen Dynamik“ für die Beitrittsverhandlungen, in dem Wissen, dass Deutschland in den letzten vier Jahren eher auf der Bremse, als auf dem Gaspedal stand.

In den Rahmen der Koalitionsbildung passt es daher auch, dass die geschäftsführende Bundesregierung in der letzten Woche ihre Blockade gegenüber einer weiteren Beitrittskonferenz aufgegeben hat, die aufgrund der Vorfälle um den Istanbuler Gezi-Park in diesem Sommer aufgeschoben wurde.

Es ist ein kleineres und – im Gesamtkontext der Verhandlungen - nachrangiges Zugeständnis bzw. Zeichen Merkels an die SPD um Parteichef Sigmar Gabriel. Aber kein unwichtiges, denn zur Koalitionsbildung braucht Gabriel die unmittelbare Zustimmung der SPD-Basis. Merkel präferiert die SPD als Koalitionspartner, ist also bis zum Votum mittelbar von der SPD-Basis abhängig. Und doch dürfte der Koalitionsvertrag in der Beitrittsfrage der Türkei, was die Formulierung über den Ausgang betrifft, wieder offen und vage sein. In den Kriterien hingegen wieder äußerst strikt. Denn es ist eine Sache, einen temporären Verhandlungsstop aufzugeben, den man selbst mit herbeigeführt hat. Eine andere wäre es, eine Vollmitgliedschaft und die daran anzulegenden Kriterien umfassend anders zu bewerten. Derzeit deutet nichts darauf hin.

Vielleicht wird man deshalb in der zuständigen Arbeitsgruppe noch einmal im alten gemeinsamen Koalitionsvertrag blättern. Die Formulierungen waren doch so schön.

Montag, 14. Oktober 2013

Besser gerüstet

Bisher spielten außen- und sicherheitspolitische Vorstellungen keine Rolle in den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD, sowie zwischen Union und Grünen. Ein Graben zeichnet sich beim Thema Rüstungsexporte ab.

Europa, der Euro, ja. Für alles andere außen- und sicherheitspolitische reichte die Zeit nicht. Die erste Sondierungsrunde zwischen Union und SPD, sowie zwischen Union und Grünen, hatte andere inhaltliche Prioritäten als die Außen- und Sicherheitspolitik. In der in dieser Woche stattfindenden zweiten Sondierungsrunde dürfte dieser Themenkomplex zumindest teilweise auf der Tagesordnung stehen.

Denn schon im Wahlkampf empörten sich SPD und Grüne über die schwarz-gelbe Rüstungsexportpolitik. „Skandalös und hochgefährlich“ (Peer Steinbrück) sowie von „schmutzigen Deals“ (Claudia Roth) war die Rede. Auch im gestrigen Bericht aus Berlin wiederholte Roth die Position der Grünen und ihre diesbezügliche Skepsis für die morgige Sondierung. Skepsis daher, da sich die Union in ihrem Wahlprogramm in „nur“ zwei allerdings deutlichen Sätzen damit befasst: Sie strebe „verstärkt gemeinsame Rüstungsprojekte mit 
den Partnern in EU und NATO an.“ Außerdem halte sie „an den geltenden strengen Richtlinien für die Ausfuhr von Rüstungsgütern fest“ und sie setze sich „weiter für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein.“

Streitthema dieser Passage und sich abzeichnender Graben dürfte insbesondere das Festhalten der Union an den geltenden Richtlinien für Rüstungsexporte sein. Denn einer der Kernpunkte des Grünen Wahlprogramms, der auch unter ihren 9 Regierungsprioritäten genannt wird, fordert genau das Gegenteil: Striktere Kontrollen für Rüstungsexporte. Durch drei Elemente soll dies gewährleistet werden: 1.) Einführung eines verbindlichen und restriktiven Rüstungsexportgesetzes, 2.) Abschaffung des Bundessicherheitsrates in seiner jetzigen Form und Einführung des Konsensprinzips der Bundesregierung, und 3.) Einsetzung eines parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der deutschen Rüstungsexporte, mit aufschiebenden Vetorecht.

Auch die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine restriktivere Rüstungsexportpolitik. Wie auch die Grünen will sie dies durch die Einführung eines parlamentarischen Gremiums im Bundestag umsetzen, das „bei zentralen Waffenexportentscheidungen“ die Bundesregierung kontrolliert. Von einem Vetorecht dieses Gremiums ist nicht die Rede, genauso wenig wie die von den Grünen geforderte Abschaffung des Bundessicherheitsrates. Somit würde das parlamentarische Kontrollgremium ergänzend zum Bundessicherheitsrat geschaffen und mit dessen Kontrolle beauftragt. Insgesamt fordert die SPD eine Rückkehr zu den Rüstungsexportrichtlinien aus der „rot-grünen Regierungszeit.“

Anhand des jährlichen Rüstungsexportberichts, der bis zum Jahr 2011 vorliegt, lässt sich jene von der SPD angestrebte Rückkehr in rot-grüne Regierungsjahre konkret in Zahlen benennen. "Aussagekräftig" sind die Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Drittländer (weder NATO- noch EU-Mitgliedsstaaten noch gleichgestellte):

Zwischen 1999 und 2005 wurden unter Rot-Grün Rüstungsgüter im Wert von 0,781 (1999); 0,599 (2000); 1,3 (2001); 0,744 (2002); 1,6 (2003); 1,1 (2004); und 1,7 (2005) Milliarden Euro an Drittländer ausgeliefert. In der Großen Koalition beliefen sie sich auf 1,2 (2006 + 2007); 3,1 (2008) und 2,5 (2009) Milliarden Euro. Unter Schwarz-Gelb auf 1,4 (2010) und 2,3 (2011) Milliarden Euro.

Demnach fallen die Rüstungsexport-Höchstwerte der letzten drei Bundesregierungen in die Zeit der Großen Koalition, mit Werten von 3,1 und 2,5 Milliarden Euro. Bei Schwarz-Gelb hingegen beliefen sich diese Werte auf 1,4 Milliarden Euro (2010) und 2,3 Milliarden Euro (2011). Aber auch die rot-grüne Bundesregierung setzte neue Maßstäbe in Sachen Rüstungsexport und stand wiederholt vor einer internen „Belastungsprobe“ (Reinhardt Bütikofer). Sie übertraf den Höchstwert aus dem Jahr 1998 von 1 Milliarde Euro mit 1,7 Milliarden Euro in 2005.

Obwohl sich in diesen Zahlen für keine Bundesregierung ein kontinuierlicher Trend (steigend oder fallend) erkennen lässt, unterstreichen sie doch eines: In Rüstungsexport- und Kontrollfragen liegen Union und Grüne insgesamt weiter auseinander, als es Union und SPD tun. Zwar steht der Union mit den Grünen ein interessanter Sondierungs- und Perspektivpartner gegenüber. Und trotzdem ist es kaum vorstellbar, dass die Grünen die Merkelsche Rüstungsexportpolitik mittragen könnten, die bei ihnen bereits in geringerem Umfang unter Kanzler Schröder Übelkeit auslöste. Für einen „Politikwechsel“, wie er auch hier von den Grünen gefordert wird, steht Angela Merkel als Wahlsiegerin wiederum nicht zur Verfügung.

Union und SPD hingegen haben sich zuletzt 2005 zusammengefunden und über vier Jahre eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik getragen. Es scheint als sei die SPD für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen besser gerüstet.