Merkels
„Kalter Krieg“, Schröders „Abenteuer“: Die FAZ stellt die These auf, die Union versuche
die NSA-Affäre zum außenpolitischen Wahlkampfthema zu machen. So wie es Gerhard
Schröder 2002 mit dem drohenden Irakkrieg tat. Ob zutreffend oder nicht- eine schwierige
Parallele der Fälle.
„Sum Wohl!“ rief US-Präsident Barack Obama in den Festsaal des
Schloss Charlottenburg und hatte damit seine letzten öffentlichen Worte während
seines zweitägigen Berlin-Aufenthalts gesprochen. Mit dem Wohlsein ist es
dieser Tage so eine Sache in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Vorbote für
die derzeitige Entfremdung war eine einfache Frage, die eine Journalistin
wenige Stunden vorher auf der gemeinsamen Pressekonferenz im Bundeskanzleramt
an Angela Merkel richtete. Kaum waren die Begriffe "NSA" und "Prism" gefallen, bat
Obama Merkel darum, zunächst selber zur Frage Stellung beziehen zu dürfen.
Vermutlich ahnte Obama damals schon, welches Ausmaß an Befremdung die Abhöraktivitäten
des US-Auslandsgeheimdienstes NSA in Deutschland auslösen würden.
Mittlerweile sind die Späh-Aktionen der NSA mitten im
bundespolitischen Wahlkampf angekommen. Und so greift die Opposition die
Regierung für ihre vermeintliche Mitwisserschaft und ihre Passivität an. SPD-Kanzlerkandidat
Steinbrück wirft Merkel gar einen Bruch des Amtseides vor. Die Bundesregierung wiederum wehrt sich gegen
die Vorwürfe, zeigt sich demonstrativ aktiv und entsandte nun Innenminister Hans-Peter Friedrich zu Gesprächen in die amerikanische Hauptstadt.
Historische Vergleiche sind per se gewagt, und so war es gewissermaßen ein Ausrufezeichen von Bundeskanzlerin Merkel, als sie die USA zu
Beginn der Debatte über ihren Regierungssprecher mit den Worten kritisierte: „Wir sind nicht
mehr im Kalten Krieg.“ Anfang vergangener Woche stellte die FAZ daraufhin die
These auf, die Union versuche die NSA-Affäre zum außenpolitischen
Wahlkampfthema zu machen, so wie es Gerhard Schröder 2002 mit dem
bevorstehenden Irakkrieg tat.
Tatsächlich gleichen sich „Konstellationen und auch Akteure“ in der Debatte zur NSA-Abhöraffäre und zum damaligen Irakkrieg: „Wahlkampf in Deutschland; Differenzen zwischen dem
amerikanischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzler; Reisen nach
Washington; deutsche Kritik an der Weltmachtpolitik der Vereinigten Staaten" und "Versuche, das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht über Gebühr zu belasten“,
nannte die FAZ als Indizien für ihre These.
Was sich gleicht, ist also der Konfliktablauf. Die Fälle selber sind als außenpolitische Wahlkampfthemen allerdings nicht vergleichbar. Als
Gerhard Schröder 2002 im Wahlkampf davon sprach, dass Deutschland für „Abenteuer“
nicht zur Verfügung stehe, ging es für die Deutschen um ein sehr konkretes,
greifbares Thema. Im Irak drohte zu dieser Zeit ein Krieg, der den Einsatz
deutscher Soldaten in den Raum stellte. Unterm Strich also eine Frage von Krieg
und Frieden, von Leben und Tod. Ein in
seiner Konkretheit nicht zu überbietendes Thema.
Abstrakter hingegen ist das Thema der Balance zwischen öffentlicher
Sicherheit und privaten Freiheitsrechten. Natürlich
ist es skandalös und nicht rechtens befürchten zu müssen, dass digitale
Kommunikationsdaten von Privatpersonen oder Mandatsträgern staatlicher Institution
beliebig und umfassend abgehört werden. Möglicherweise sogar zum eigenen wirtschaftlichen
oder politischen Nachteil. Und dennoch ist die Dimension eine andere, weniger
unmittelbare. So ist zumindest das Gefühl und dass, obwohl Sicherheitsfragen wie
terroristische Anschläge ins Spektrum der NSA-Überwachungspraxis fallen.
Genau hier dürfte auch die vermeintliche Trennlinie verlaufen: Trotz
massiv zu beanstandender Verhältnismäßigkeit gibt es in Deutschland eine Stimmung,
Einschränkungen der privaten Freiheit für den Gewinn öffentlicher Sicherheit einfach hinzunehmen. Weil ohne Sicherheit Freiheit wenig ist. Weil mit Sicherheit
Freiheit viel sein kann. Kriege hingegen, wie der 2002 bevorstehende im Irak,
stoßen in einer kriegsaversen deutschen Bevölkerung auf unmittelbare Ablehnung.
Die NSA-Abhöraffäre polarisiert die Deutschen daher weniger, das
Thema erreicht bisher nicht die Mitte der Gesellschaft. Das aktuelle
ZDF-Politbarometer bestätigt dies, denn knapp 60% der Befragten Internetnutzer
sagen, sie haben trotz der Vorfälle nicht vor, ihre „eigenen Daten im Netz
künftig besser zu schützen.“ Gut 80% der Befragten glauben zudem, dass die deutsche
Bundesregierung „von der umfangreichen Datenüberwachung durch die
US-Geheimdienste wusste.“ Die Umfragewerte der Union bleiben davon bislang
unbeeindruckt stabil. Ein gewinnbringendes, polarisierendes außenpolitisches
Wahlkampfthema sieht anders aus. So müsste das die Opposition sehen. Das
wiederum stellte eine Parallele der Fälle NSA und Irak dar: Die jeweils amtierende
Bundesregierung wusste das außenpolitische Wahlkampfthema für sich zu nutzen. Einmal
gewinnbringend, einmal verlustvermeidend.
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