Steinbrück hält außenpolitische Grundsatzrede
Cum temporare betritt der Kandidat den Hörsaal der Freien Universität Berlin. Er wird mit verhaltenem Applaus begrüßt. Grußworte der Veranstalter des OSI-Clubs, des FU-Präsidenten und des einladenden Studiengangvorsitzenden folgen. Letzterer, Professor Thomas Risse, bereitet unbeabsichtigt den Einstieg für Peer Steinbrücks Auftaktworte. "Europapolitik ist keine Außen- und Sicherheitspolitik", doziert Risse. Auftritt des Kanzlerkandidaten. Steinbrück blickt zu Risse und schmettert zurück: "Europapolitik ist genau das: Außen- und Sicherheitspolitik, Herr Risse!" Es ist ein wichtiger Aspekt seiner außenpolitischen Grundsatzrede, mehr noch seines Verständnisses von Außen- und Sicherheitspolitik. Es soll nicht das letzte Mal sein, dass er das deutlich macht.
Es ist ein gelungener Auftritt von Peer Steinbrück. Das kann man zumindest der Reaktion des Publikums entnehmen, als es ihn verabschiedet. Trotz der während seiner Rede leicht krächzenden Stimme ist Steinbrück hoch konzentriert. Und: Er hat einen ganzen Koffer voller Themen mitgebracht:
Europa als Narrativ; Krisenherd Europa; Waffenlieferungen nach Syrien;
Rolle der und Beziehungen zu den USA und Russland; GASP der EU; Rolle der
deutsch-französische Beziehungen; „Trias“ Deutschland, Frankreich, Polen;
Deutschlands Wahrnehmung in Europa; Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit; Rüstungsexporte; Drohnen; Bundeswehreinsätze und Menschenrechte. Puh. Alles spricht Steinbrück
an. Manches kürzer, anderes länger. So sieht also „Grundsatz“ aus. Die Länge
seiner Ausführungen lässt auf seine Prioritäten schließen.
Europa, das macht Steinbrücks Auftritt klar, hat für ihn
Priorität. Europa erlebe derzeit seine „schwerste Krise“, befindet er. Staatsschuldenkrise,
Vertrauenskrise, Legitimationskrise, Jugendarbeitslosigkeit und Reformnöte,
sind seine zentralen Punkte. Er arbeitet sich daran ab und beschwört den
„Narrativ des europäischen Zivilisationsmodells“, der verloren gegangen sei. Es
sind überwiegend bereits bekannte Punkte von ihm. Später wird ihm ein Student
vorwerfen, dass er eine Rede gehalten habe, „die auch Merkel hätte halten
können.“ Das Wort "sozialdemokratisch" sei nicht gefallen. Steinbrück reagiert gelassen. Er ist sichtlich bemüht auf alle Fragen
sachlich und nicht überheblich zu antworten. „Wenn ein Sozialdemokrat eine
solche Rede hält, ist es eine sozialdemokratische Rede“, antwortet er und
grinst. Gelächter im Publikum.
Zwei neue Punkte zum Themenfeld Europa nennt er dann doch.
Deutschland sei längst in einer Haftungs- und Transferunion, „obwohl wir das
nicht wollen.“ Er schiebt die Zahl „27 Prozent“ hinterher, mit denen
Deutschland haften würde, falls es zu Ausfällen bei der Kreditrückzahlung
kommt. Außerdem spricht sich Steinbrück für eine „Trias“ aus, bestehend aus Deutschland,
Frankreich und Polen, die in Zukunft verstärkt gemeinschaftlich Initiativen in
der EU ergreifen soll. Es klingt etwas nach der Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks,
die er propagiert.
Zwei „schwierige“ Themen, je eins für beide Volksparteien, kommen
auch zur Sprache. Beim Thema Russland spricht sich Steinbrück für eine „enge
Partnerschaft“ aus, da es „viele Themen gibt, die gemeinsam zu lösen sind.“
Natürlich weist er im selben Atemzug auf die Demokratiedefizite Russlands hin,
die er nach Willy Brandt und Egon Bahr mit „Wandel durch Annäherung“ zum
Positiven verändern will. Trotzdem lässt sich Steinbrück zu einer Andeutung zur
Russlandpolitik des Altkanzlers und Genossen Gerhard Schröder hinreißen. Man
merkt Steinbrück an, sozialdemokratische Russlandpolitik wird nach wie vor von
Schröder überschattet- zu Steinbrücks Nachteil. Ein Student will von ihm
wissen, ob er mit dieser Formel nicht Gefahr laufe, „sich Russland nur
anzunähern, ohne Wandel.“ Steinbrück hält dagegen und fragt nach den
Alternativen, wenn man in Russland etwas verändern wolle. Man könne am Interesse
der Technologiemodernisierung Russlands ansetzen, antwortet Steinbrück dann
selbst. Es klingt nach dem Motto: Wie Du mir, so ich Dir. Und auf einmal denkt
man wieder an den Altkanzler.
Obwohl es überrascht, dass sich Steinbrück nicht noch klarer von
der Russlandpolitik Gerhard Schröders abgrenzt, setzt er einen deutlichen
Akzent beim Thema Drohnen. „Deutschland bedarf keiner bewaffneten Drohnen“, ruft er in den
Hörsaal. Die Studenten reagieren mit Applaus. Es ist das einzige Mal während
seines Vortrags, dass spontaner Applaus aufkommt. Das Stichwort „Euro Hawk“
scheint also nicht nur den Verteidigungsminister der CDU ins straucheln zu
bringen. Sondern es lässt sich darüber hinaus auch ein klareres
Unterscheidungsmerkmal in der Sicherheitspolitik zwischen Angela Merkel und
Peer Steinbrück erkennen, mit dem Wahlkampf gemacht werden kann. Klare Kante
also. Wir werden sehen.
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