Sonntag, 14. Juli 2013

Gewinnbringend, verlustvermeidend

Merkels „Kalter Krieg“, Schröders „Abenteuer“: Die FAZ stellt die These auf, die Union versuche die NSA-Affäre zum außenpolitischen Wahlkampfthema zu machen. So wie es Gerhard Schröder 2002 mit dem drohenden Irakkrieg tat. Ob zutreffend oder nicht- eine schwierige Parallele der Fälle.

„Sum Wohl!“ rief US-Präsident Barack Obama in den Festsaal des Schloss Charlottenburg und hatte damit seine letzten öffentlichen Worte während seines zweitägigen Berlin-Aufenthalts gesprochen. Mit dem Wohlsein ist es dieser Tage so eine Sache in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Vorbote für die derzeitige Entfremdung war eine einfache Frage, die eine Journalistin wenige Stunden vorher auf der gemeinsamen Pressekonferenz im Bundeskanzleramt an Angela Merkel richtete. Kaum waren die Begriffe "NSA" und "Prism" gefallen, bat Obama Merkel darum, zunächst selber zur Frage Stellung beziehen zu dürfen. Vermutlich ahnte Obama damals schon, welches Ausmaß an Befremdung die Abhöraktivitäten des US-Auslandsgeheimdienstes NSA in Deutschland auslösen würden.

Mittlerweile sind die Späh-Aktionen der NSA mitten im bundespolitischen Wahlkampf angekommen. Und so greift die Opposition die Regierung für ihre vermeintliche Mitwisserschaft und ihre Passivität an. SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wirft Merkel gar einen Bruch des Amtseides vor. Die Bundesregierung wiederum wehrt sich gegen die Vorwürfe, zeigt sich demonstrativ aktiv und entsandte nun Innenminister Hans-Peter Friedrich zu Gesprächen in die amerikanische Hauptstadt.

Historische Vergleiche sind per se gewagt, und so war es gewissermaßen ein Ausrufezeichen von Bundeskanzlerin Merkel, als sie die USA zu Beginn der Debatte über ihren Regierungssprecher mit den Worten kritisierte: „Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“ Anfang vergangener Woche stellte die FAZ daraufhin die These auf, die Union versuche die NSA-Affäre zum außenpolitischen Wahlkampfthema zu machen, so wie es Gerhard Schröder 2002 mit dem bevorstehenden Irakkrieg tat.

Tatsächlich gleichen sich „Konstellationen und auch Akteure“ in der Debatte zur NSA-Abhöraffäre und zum damaligen Irakkrieg: „Wahlkampf in Deutschland; Differenzen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzler; Reisen nach Washington; deutsche Kritik an der Weltmachtpolitik der Vereinigten Staaten" und "Versuche, das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht über Gebühr zu belasten“, nannte die FAZ als Indizien für ihre These.

Was sich gleicht, ist also der Konfliktablauf. Die Fälle selber sind als außenpolitische Wahlkampfthemen allerdings nicht vergleichbar. Als Gerhard Schröder 2002 im Wahlkampf davon sprach, dass Deutschland für „Abenteuer“ nicht zur Verfügung stehe, ging es für die Deutschen um ein sehr konkretes, greifbares Thema. Im Irak drohte zu dieser Zeit ein Krieg, der den Einsatz deutscher Soldaten in den Raum stellte. Unterm Strich also eine Frage von Krieg und Frieden, von Leben und Tod.  Ein in seiner Konkretheit nicht zu überbietendes Thema.

Abstrakter hingegen ist das Thema der Balance zwischen öffentlicher Sicherheit und privaten Freiheitsrechten. Natürlich ist es skandalös und nicht rechtens befürchten zu müssen, dass digitale Kommunikationsdaten von Privatpersonen oder Mandatsträgern staatlicher Institution beliebig und umfassend abgehört werden. Möglicherweise sogar zum eigenen wirtschaftlichen oder politischen Nachteil. Und dennoch ist die Dimension eine andere, weniger unmittelbare. So ist zumindest das Gefühl und dass, obwohl Sicherheitsfragen wie terroristische Anschläge ins Spektrum der NSA-Überwachungspraxis fallen.

Genau hier dürfte auch die vermeintliche Trennlinie verlaufen: Trotz massiv zu beanstandender Verhältnismäßigkeit gibt es in Deutschland eine Stimmung, Einschränkungen der privaten Freiheit für den Gewinn öffentlicher Sicherheit einfach hinzunehmen. Weil ohne Sicherheit Freiheit wenig ist. Weil mit Sicherheit Freiheit viel sein kann. Kriege hingegen, wie der 2002 bevorstehende im Irak, stoßen in einer kriegsaversen deutschen Bevölkerung auf unmittelbare Ablehnung.

Die NSA-Abhöraffäre polarisiert die Deutschen daher weniger, das Thema erreicht bisher nicht die Mitte der Gesellschaft. Das aktuelle ZDF-Politbarometer bestätigt dies, denn knapp 60% der Befragten Internetnutzer sagen, sie haben trotz der Vorfälle nicht vor, ihre „eigenen Daten im Netz künftig besser zu schützen.“ Gut 80% der Befragten glauben zudem, dass die deutsche Bundesregierung „von der umfangreichen Datenüberwachung durch die US-Geheimdienste wusste.“ Die Umfragewerte der Union bleiben davon bislang unbeeindruckt stabil. Ein gewinnbringendes, polarisierendes außenpolitisches Wahlkampfthema sieht anders aus. So müsste das die Opposition sehen. Das wiederum stellte eine Parallele der Fälle NSA und Irak dar: Die jeweils amtierende Bundesregierung wusste das außenpolitische Wahlkampfthema für sich zu nutzen. Einmal gewinnbringend, einmal verlustvermeidend.